Die 1-Euro-Schülerzusatzversicherung in Baden-Württemberg wurde zu diesem Schuljahr eingestampft und sogleich mit neuen Bedingungen und mit geänderten Voraussetzungen neu aufgelegt. Wie es dazu kam, wie die neue Lösung sich von der alten unterscheidet und was es in der Praxis bedeutet.
Viele von uns in Baden-Württemberg kennen es noch: Am Schuljahresanfang teilte der Lehrer die Anträge zur Schülerversicherung aus. Für einen Euro konnte man eine kleine Haftpflicht- Unfall- und Sachversicherung abschließen, für 7 Euro mehr sogar das Fahrrad versichern. Ab diesem Schuljahr ist damit jedoch Schluß!
Nachdem Spiegel Online Anfang 2018 über die Schülerzusatzversicherung berichtete, Verbraucherschützer den Nutzen des Versicherungsschutzes anzweifelten und der BdV (Bund der Versicherten) die Schülerversicherung als „Versicherungskäse des Jahres“ auszeichnete, gab die Schülerzusatzversicherung im Laufe des letzten Jahres in der Öffentlichkeit ein immer negativeres Bild ab. Dazu kam die Kritik am Vertrieb durch die Lehrer. Diese sind ja eigentlich gar keine qualifizierten und zugelassenen Vermittler, wie es das Gesetz vorschreibt. Noch dazu ist es generell fragwürdig, ein Versicherungsprodukt an Schulen zu bewerben und vertreiben, hat dies doch ein gewisses „Gschmäckle“. Das Kultusministerium kündigte letztes Jahr die zugrunde liegenden Gruppenverträge auf, „um ordnungspolitisch Klarheit zu schaffen“, wie der Versicherungsbote berichtete.
Die Kritik am Versicherungsschutz ist auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar: Haftpflicht nur als Subsidiärdeckung, Deckungs- und Versicherungssummen in Haftpflicht und Unfall relativ niedrig, die Sachversicherung bei 300 € gedeckelt. Dazu die Überschneidungen mit der gesetzlichen Unfallversicherung und gegebenenfalls vorhandenen privaten Haftpflicht- und Unfallversicherungen. (Der BGV hat zu dieser Kritik eine Gegendarstellung veröffentlicht.)
Aus der Sicht von Lehrern und Schulleitern hat die Schülerversicherung jedoch durchaus ihre Vorteile: Mir wurde berichtet von unkomplizierter Schadenmeldung und zuvorkommender Schadenregulierung bei Brillen, Handys und anderen Kleinschäden, ebenso bei Fahrraddiebstahl und -beschädigung (was sonst übrigens nur durch eine wesentlich teurere Fahrradkaskoversicherung abzudecken wäre). Solche Schäden sind im Schulalltag durchaus nicht selten.
Aber eine ganz andere Thematik ist viel wichtiger für die Lehrer, nämlich der in der Schülerversicherung enthaltene Haftpflichtschutz. Subsidiärdeckung hin, geringe Versicherungssumme her – besser eine rudimentäre Haftpflichtversicherung als gar keine. Insbesondere dann, wenn der Nachweis einer Haftpflichtversicherung gefordert wird, wie z.B. in einigen Praktikumsbetrieben. Die Lehrer möchten natürlich alle ihre Schüler im Praktikum unterbringen, aber wenn ein Versicherungsnachweis fehlt, kann der Praktikumsbetrieb das Praktikum verweigern. Da es sehr zeitaufwändig ist, den Versicherungsnachweisen bei den Eltern hinterherzulaufen, haben manche Lehrer die Zusatzversicherung durchaus offensiv beworben und u.U. die Prämie selbst bezahlt für 2 oder 3 Schüler, die diese Zusatzversicherung nicht wollten. Aber so konnten die Lehrer sicher sein, daß alle in der Klasse eine Haftpflichtversicherung nachweisen konnten. Rechtlich sauber war diese Variante nicht, aber durchaus pragmatisch.
Wie Phoenix aus der Asche
Unmittelbar nach der Ankündigung der Landesregierung die Gruppenverträge zu kündigen machten sich die beteiligten Versicherer BGV und WGV daran, die Schülerversicherung neu zu denken und präsentierten die Schülerversicherung runderneuert als Gruppenvertrag mit höheren Versicherungssummen und besseren Bedingungen.
Es gibt nun keine Versicherungsausweise und Einzelanträge mehr, sondern nur noch einen Gruppenvertrag, der für die gesamte Schule abzuschließen ist. Es werden also entweder ALLE Schüler versichert oder eben keiner.
Darüberhinaus gibt es eine Ausschnittdeckung in Haftpflicht nur für Schulpraktika und Landheime, die für einzelne Klassen abschließbar ist. Insofern ist der Versicherer hier dem Bedarf der Lehrer entgegengekommen und hat eine Möglichkeit geschaffen zur expliziten Absicherung bei Praktika. Entfallen ist hingegen die Möglichkeit, Musikinstrumente zu versichern.
BGV- Schülerversicherungen ab Schuljahr 2019/2020
1. Gruppenvertrag „Schülerversicherung“ (drei Bausteine analog bisheriger Schüler-Zusatzversicherung)
- Vertragspartner / Beitragsschuldner: Städte, Gemeinden, Landkreise, Schulzweckverbände, Fördervereine oder Schulen
- Versicherte Personen: sämtliche Schüler einer Schule
- Leistungen:
- Baustein Haftpflicht: 3 Mio. EUR für Personen- und Sachschäden (bislang 2 Mio. EUR), 100.000 EUR für Vermögensschäden
- Baustein Sachschaden: 500 EUR (bislang 300 EUR)
- Baustein Unfall: Invaliditätssumme 60.000 EUR (bislang 50.000 EUR) mit Progression 225 %
- Beitrag: 1 EUR je Schüler / 6 EUR für Internatsschüler
- Gleicher Beitrag wie bisher trotz verbesserter Leistungen
2. Gruppenvertrag „Praktika und Landschulheime“ (Ausschnittsdeckung)
- Vertragspartner / Beitragsschuldner: Städte, Gemeinden, Landkreise, Schulzweckverbände, Fördervereine, Schule für eine oder mehrere Schulklasse/n Versicherte Personen: alle Schüler einer oder mehrerer Klassen einer Schule
- Leistungen:
- Haftpflicht mit 3 Mio. EUR für Personen- und Sachschäden (bislang 2 Mio. EUR) und 100.000 EUR für Vermögensschäden
- Beitrag: 50 EUR je Klasse und Schuljahr
- Vertrag läuft zum Schuljahresende automatisch ab
3. Gruppenvertrag „Fahrrad“
- Vertragspartner / Beitragsschuldner: Städte, Gemeinden, Landkreise, Schulzweckverbände, Fördervereine oder Schulen
- Versicherte Personen: sämtliche Schüler einer Schule
- Leistungen:
- Beschädigung/Diebstahl (wie bisher)
- Höchstentschädigung 1.000 EUR (bisher 600 EUR)
- Selbstbeteiligung 10 EUR (wie bisher)
- Beitrag: 3 EUR je Schüler ab Klasse 4 (bislang 7 EUR je versichertem Schüler)
- Beitragserhebung erst für Schüler ab Klasse 4, nachdem die Radfahrausbildung erst in Klasse 4 vorgesehen ist; versichert sind jedoch auch Schüler der Klassen 1-3
4. Gruppenvertrag „Schäden an Kraftfahrzeugen bei Schulfahrten“
- Vertragspartner / Beitragsschuldner: Städte, Gemeinden, Landkreise, Schulzweckverbände, Fördervereine oder Schulen
- Versicherte Personen (wie bisher): Eltern, Schüler, Elternvertreter und sonstige Privatpersonen
- Leistungen (wie bisher)
- Höchstentschädigung 30.000 EUR
- Selbstbeteiligung 325 EUR
- Doppelversicherung zu einer bestehenden privaten Kaskoversicherung
- Beitrag je Schule (bisher pauschal 50 EUR je Schule):
- Schulen bis 100 Schüler: 50 €
- Schulen bis 500 Schüler: 100 €
- Schulen bis 1.000 Schüler: 180 €
- Schulen über 1.000 Schüler: 250 €
[Bei Sammelverträgen für mehrere Schulen wird für alle Schulen diejenige Beitragsstaffel zugrunde gelegt, die sich aus der durchschnittlichen Schülerzahl je Schule ergibt]
Beitragsnachlässe:
- Laufzeitrabatt 5 % bei 5-Jahresvertrag
- Gesamtbeitrag je Vertragspartner > 5.000 EUR: 5 % Nachlass
- Gesamtbeitrag je Vertragspartner > 10.000 EUR: 10 % Nachlass
- Gesamtbeitrag je Vertragspartner > 20.000 EUR: 15 % Nachlass
Allgemeines:
- Jeweils (Kalender-)Jahresverträge mit Kündigungsmöglichkeit (auch) zum 31.07.
- Anteilmäßige Abrechnung bei Neuabschluss zum Schuljahresbeginn und Kündigungzum 31.07.
- Stichtagsmeldung der Schülerzahlen bis zum 30.09. (Stichtag Schuljahresbeginn). Die Schülerzahl gilt dann für das nächste Kalenderjahr.
- Ein Schulträger kann auch einzelne Schulen versichern. Diese müssen dann benannt werden. Ausschnittsdeckungen innerhalb einer Schule sind aber nur im Rahmen der Ziffer 2 möglich.
- Alle genannten Beiträge inklusive Versicherungsteuer
- Verzicht auf die Berechnung von Mindestbeiträgen
Der BGV sieht als Vertragspartner die Schulen, Schulträger oder Fördervereine vor. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß der Vertragspartner, also der Versicherungsnehmer auch der Beitragsschuldner ist. Mangels eigener Rechtsfähigkeit der staatlichen Schulen können diese einen Gruppenvertrag nicht selbst abschließen. Die Schulen müssen entweder den Schulträger um Erlaubnis bitten oder der Schulträger oder ggf. der Förderverein wird Versicherungsnehmer. Darauf hat das Kultusministerium explizit hingewiesen. Auch hat es darauf hingewiesen, daß die Eltern nicht verpflichtet werden können, die Beiträge für die Schülerversicherung zu erstatten.
In der Praxis sieht es nun so aus, daß die Schulleitungen überlegen müssen, ob sie einen Gruppenvertrag abschließen möchten, welche Deckungsbausteine enthalten sein sollen und vor allem wie der Beitrag finanziert werden soll. Es wäre denkbar, dies über den Förderverein laufen zu lassen und mittels Spenden die Beiträge zu refinanzieren. Empfehlenswert ist es in jedem Fall, den Schulträger mit ins Boot zu holen; zum einen um die mögliche Versicherung offiziell genehmigen zu lassen, zum andern aber auch um über eine Kostenübernahme seitens des Schulträgers zu sprechen. So geht die Stadt Stuttgart mit gutem Beispiel voran und schließt einen Gruppenvertrag „Schülerversicherung“ für alle Stuttgarter Schulen ab, wie die Stuttgarter Zeitung berichtete. Das lässt sich die Stadt Stuttgart immerhin rund 63000 Euro kosten.