Geschäftsfahrrad statt Geschäftswagen – der Weg dahin und erste Erfahrungen
Geschäftsfahrrad statt Geschäftswagen – was zunächst wie eine Schnapsidee klingen mag, macht durchaus Sinn. Ich bin den Schritt gegangen und soviel vorneweg: Ich bin begeistert!
Es begann damit, daß sich meine Frau letztes Jahr ein Ebike (korrekt: Pedelec) zugelegt hat. Als begeisterter Radfahrer hab ich bislang elektrisch unterstützte Fahrräder gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Ich hab ja schließlich zwei gesunde Beide, die ein normales Fahrrad, sogar mit Anhänger, schneller bewegen können als „diese Pedelecs“ fahren. Ernsthafte Zweifel an meiner Haltung entstanden während einer Übertragung der Tour de France, als Co-Kommentator Jens Voigt, seines Zeichens ehemaliger Radprofi, der erst vor wenigen Jahren seine Rennmaschine an den Nagel gehängt hatte, sich dazu bekannte, gerne mal mit dem Pedelec seiner Frau zum Bäcker zu fahren.
Auch meine Frau war begeistert von ihrem Elektromobil und ermutigte mich immer wieder, es einfach mal auszuprobieren.
So kam dann der Tag, an dem ich einen Kundentermin „um die Ecke“ hatte und auf das Angebot zurückgriff. Nach wenigen Metern erkannte ich das Potential, habe meine radsportlichen Vorurteile zurückgestellt und es genossen, entspannt und gar nicht verschwitzt beim Kunden anzukommen. So benutze ich immer öfter mal das Pedelec meiner Frau, wenn sich die Gelegenheit ergab.
Im Frühjahr diesen Jahres haben wir überlegt, wie wir es mit unseren Autos halten sollten. Irgendwie hatten wir ein Auto zuviel, denn eines stand allermeistens ungenutzt vor der Türe herum. Im Grunde genommen totes Kapital, das die meiste Zeit seines Lebens nicht genutzt wird. Ich persönlich nutzte es meistens nur einmal die Woche zum Einkaufen. Also kamen wir zu dem Schluß, daß wir künftig ein Auto weniger haben wollten. Um aber dennoch mobil zu sein, kam die Idee auf, stattdessen ein Pedelec anzuschaffen. Und zwar nicht irgendeines, sondern ein Cargo-Pedelec, ein Lasten-E-Bike. Schließlich müssen die Einkäufe erledigt werden und die Kinder ab und an durch die Gegend chauffiert werden. Und nicht zuletzt ist meine Heimatstadt Mannheim der Ort wo das Fahrrad erfunden wurde!
Das Problem bei diesen Lastenrädern mit elektrischer Tretunterstützung ist allerdings, daß sie in vernünftiger Qualität relativ teuer sind. Das muss man schon wollen, zwischen 6000 und 10000 Euro für sowas hinzublättern. Aber dankenswerterweise gibt es Möglichkeiten: Zum einen kann man solche Lastenräder relativ einfach leasen. Berücksichtigt man die Tatsache, daß die Leasingkosten zu 100% als Geschäftsausgaben anzusetzen sind und gleichzeitig das Geschäftsrad beliebig privat genutzt werden kann, und zwar OHNE eine 0,5% oder 1%-Regel wie beim KFZ, wird das ganze auf einmal finanziell sehr interessant, zumindest für Unternehmer und Selbstständige. Dazu kommt, daß unser „The Länd“ Ländle Baden-Württemberg die Anschaffung eines Lasten-E-Bikes mit 25% fördert! (in meinem Fall 1.639,49 EUR – das muss man laut den Förderbedingungen genau so in Euro angeben wenn man im Web oder Social Media die Förderung des eigenen Rades erwähnt!) Super Geil hab ich mir gedacht, der Plan ist geschmiedet.
Nun ging es an die Auswahl des passenden Fahrrades. Erst war ich auf Long-John Cargobikes fixiert. Das sind die mit einer Kiste vor dem Fahrer und einem kleinen Rad ganz vorne. Sie sind relativ lang, mögen dadurch unhandlich sein, haben aber durch den langen Radstand eine gute Laufruhe.
Durch einen glücklichen Zufall sind wir dann aber auf etwas ganz anderes gestoßen: Das Tern GSD, ein Longtail (also hinten lang) mit kleinen 20″ Laufrädern. Dadurch ist es im Gesamten nicht wirklich länger als ein normales Fahrrad, hat aber dennoch ein zulässiges Gesamtgewicht von 200 kg. Dazu kommt die tolle Variabilität beim Transportieren. Statt einer einzigen Kiste vorne gibt es mannigfaltige Möglichkeiten, mit diesem Rad Zeugs zu transportieren. Nicht umsonst heisst es GSD – Getting Stuff Done!
Die Entscheidung war dann schnell gefällt was es werden sollte: Ein Tern GSD S00 mit Riemenantrieb und Nabenschaltung. Für ein Cargo-E-bike meiner Meinung nach die einzig sinnvolle Antriebskombination: Der Riemen kann die hohen Drehmomente im Antrieb wesentliche besser wegstecken als eine Kette und verschleisst wesentlich langsamer. Was in einer Harley-Davidson bewährt ist, kann im Cargo-E-Bike nicht verkehrt sein. Den etwas schlechteren Wirkungsgrad einer Getriebenabe macht die motorische Tretunterstützung wieder wett.
Dazu noch einige Zubehörteile, die aus dem „nackten“ GSD ein vollwertiges Lastenrad machen (die Bilder unten mit freundlicher Genehmigung von tern bicycles):
Der Clubhouse auf dem letzten Bild ist ein Multitalent: Man kann entweder eine 60×40 cm Eurobox reinstellen oder mit beiliegenden Sitzpolstern bis zu 2 Kinder reinsetzen. Außerden sollte zur Reichweitensteigerung auf jeden Fall ein zweiter Akku geordert werden. Nachdem wir das Objekt der Begierde festgelegt hatten stiessen wir aber auf das Beschaffungsproblem: Der Fahrradhändler unseres Vertrauens hatte zwar einige GSD bestellt, wartete aber bereits seit 8 Monaten auf seine Lieferung. Corona mit der Folge der Verwerfungen in Lieferketten lässt grüßen! Da wir aber darauf angewiesen waren, machten wir uns auf die Suche und fanden noch eines bei Fahrrad XXL Kalker in Ludwigshafen. Die Abwicklung dort mit Leasingantrag via Jobrad usw. war sehr professionell und unkompliziert und so konnte ich eine Woche später am 01.04.2022 das Tern GSD abholen. Beim Gewerbeleasing kann man übrigens entscheiden ob man die Versicherung von Jobrad nimmt oder eine eigene. Natürlich hab ich den Super-Tarif von Thomas Giessmann gewählt, den ich auch anbiete.
Die Jungfernfahrt von Ludwigshafen nach Hause war dann gleich mal eine Herausforderung: Wer hätte gedacht, daß es am ersten April schneit?! Aprilwetter halt. Aber egal. Hab ja gute Regenklamotten. Und konnte so meine erste Fahrt geniessen. Und etwas dabei gelernt: Schneeflocken (zumindest diese kleinen, harten die am 1. April vom Himmel fielen) können in den Augen ganz schön weh tun!
Nun ging es also los: Fahrrad statt Auto. Was soll ich sagen, endlich hatte ich ein tolles Fahrrad mit dem ich alle Alltagsaufgaben bewältigen konnte: Kinder transportieren, Einkaufen, Kunden besuchen, Sachen transportieren. Eigentlich fährt man ja ganz selten einfach nur so von A nach B. Meistens hat man irgendetwas dabei, was irgendwo hin muss: Noch eine Jacke, ein Schloss, was zu trinken usw. Nun habe ich endlich den Platz das alles mitzunehmen, ohne daß es mich nervt oder ich einen Rucksack mitschleppen muss. Und ich habe mit dabei ertappt, auszuprobieren, was ich alles (unmögliches) mit dem GSD transportieren kann:
Das GSD fährt sich trotz des hohen Eigengewichtes von ca. 40 kg sehr gut, der niedrige Schwerpunkt durch die kleinen Reifen macht sich hier positiv bemerkbar. Auch beladen fährt es sich super. Man muss nur aufpassen, daß man das Rad gerade hält wenn man stehen bleibt. Hat es im Stand ersteinmal eine gewisse Schräglage erreicht, ist es fast unmöglich zu halten. Das sollte man unbedingt beherzigen wenn man Passagiere hintendrauf hat.
Ganz besonders genossen habe ich daß ich keinen Parkplatz suchen muss und meistens direkt vor der Türe eines Geschäftes, Kunden, Kindergarten etc. „parken“ kann. So hat z.B. fast jeder Supermarkt direkt neben dem Eingang die Fahrradparkplätze. Mittlerweile auch so gestaltet, daß man sein Rad sicher anschließen kann. Und ich gehe nun wieder in Geschäften Einkaufen, die ich früher wegen fehlenden Parkplätzen in unmittelbarer Nähe beim Einkauf mit dem Auto gemieden habe.
Ich entdeckte auch meine Stadt neu. Mit dem Fahrrad fährt man in der Regel nicht die gleichen Routen wie mit dem Auto. Damit ich diese fahradspezifischen Routen überhaupt entdecke, verwende ich komoot für das Routing. Dort kann ich einstellen, daß die Route für das Fahrrad optimiert sein soll und das klappt erstaunlich gut. Zusammen mit etwas Ortskenntnis kann man ziemlich entspannt durch Mannheim fahren. Positiv aufgefallen sind mir hier die Fahrradstraßen, von denen es immer mehr gibt: Straßen mit Vorrang für Radfahrer, die oft parallel zu Hauptverkehrsstraßen wo es keinen vernünftigen Radweg gibt, laufen. Aber oft genug ist man als Radfahrer mit ärgerlichen oder sogar gefährlichen Verhältnissen konfrontiert. Angefangen bei fahradunfreundlichen Ampelschaltungen über schlechte Fahradwege bis hin zu Baustellen ohne Umleitung des Radwegs. Dazu dann noch die Berührungspunkte mit anderen Verkehrsteilnehmern. Diverse Beinahezusammenstöße und Vollbremsungen (ich liebe meine Magura Vierkolbenbremsen!). Als Fahrradfahrer wird man gerne mal übersehen, man ist auch akustisch nahezu unsichtbar. Die Geschwindigkeit wird unterschätzt und insbesondere Fußgänger verhalten sich im wahrsten Sinne des Wortes rücksichtslos, z.b indem sie einfach so ohne Vorwarnung und ohne sich umzusehen auf den Radweg latschen. Ich habe daraus gelernt, defensiver und sehr vorausschauend zu fahren und noch mehr für andere Verkehrsteilnehmer mitzudenken. Und sichtbar zu sein und auf mich aufmerksam zu machen mittels Fahrradklingel. Oder mit der Preßlufthupe wenn die Klingel an ihre Grenzen kommt: Fußgänger mit Ohrhörern oder Autofahrer mit geschlossenen Fenstern. Aber das gehört einfach dazu beim Radfahren in der Stadt, da hat sich in den letzten 30 Jahren nicht viel verändert.
Es gibt aber auch die tollen Begegnungen. Ich werde fast immer beim Einkaufen auf das Tern GSD angesprochen. Das GSD ist nuneinmal kein alltägliches Fahrrad und zieht die Blicke auf sich. Die Menschen interessieren sich dafür und es kommt fast jedes mal ein kurzes Gespräch auf. Und wenn man ein oder zwei Kinder hintendrauf hat, verhalten sich die anderen Verkehrsteilnehmer recht zuvorkommend. Fast schon wie eine eingebaute Vorfahrt.
Unterm Strich ist die Radfahrerei in der Stadt mit dem Cargo-E-Bike für mich daher ein absolut positives Erlebnis. Und nicht zuletzt vermeide ich damit eine Menge Autofahrten. Damit leiste ich einen kleinen Beitrag zum Umweltschutz und freue mich jedesmal beim Aufladen, wie konkurrenzlos billig das „Tanken“ ist: ca. 25 ct Stromkosten pro 100 km!